Volkstanz. Comm, Tanz mit!

Polka <=> Schottisch

Versuch einer Erklärung von
Gemeinsamkeiten und Gegensätzen
mit besonderem Blickpunkt auf deutsche Volkstänze.

von Hans-Jörg Brenner


In vielen Volkstanzlehrgängen, Seminaren und Volkstanzintensivkursen werden heute mehr denn je, den Teilnehmern die Tanzbeschreibungen der Tänze ausgehändigt, die beim Unterricht gelehrt und gezeigt wurden. Sicher werden auch die Tanzbeschreibungen von den Seminarleitern, Tanzleitern und Lehrern durchgegangen. Trotzdem entstehen manchmal zu Hause Zweifel beim Anwenden der Beschreibungen, zumal fast ausschließlich Kopien von Originalausgaben verteilt werden. Auch werden die Lehrgangsunterlagen kopiert und an Nichtteilnehmer von Seminaren und Lehrgängen weitergereicht. Diesen sind dann oftmals die verbalen Erklärungen nicht bekannt. So kommt es immer wieder vor, daß Probleme bei den Begriffen "Polka" und "Schottisch" auftreten. Auch Tanzleitern der 4. und 5. Generation, nach 1945, haben oftmals keine Lösung bzw. Erklärung für die genaue Definition der beiden Tanzbezeichnungen Polka und/oder Schottisch. Am einfachsten lautet die Lösung: Polka kommt von einer Bauernmagd aus Böhmen und Schottisch von Schottland. Doch bei weitergehenden Fragen tauchen dann die Probleme erst richtig auf: Das mit der Polka wird oft noch akzeptiert, doch ist diese Geschichte wirklich wahr? Aber in Volkstänzen, in denen in der Beschreibung Schottisch auftaucht, die bringen Zweifel und Unsicherheit mit sich, weil die genaue Definition oft fehlt. Tanzleiter, die dem Volkstanz fern stehen, geben insbesondere bei Fragen nach dem Schottischen die Auskunft, er kommt aus Schottland, was nur zu 0,01% der Wahrheit entspricht und vielleicht in Verbindung mit der Erklärung zum Ecossaisen-Walzer (schottischer Walzer) zu verstehen ist. Dies wirft dann weitere Fragen auf, wie z. B. Wieso sind in deutschen Volkstänzen schottische Schritte? Wo kommt der schottische Einfluß in deutschen Volkstänze her? Sind diese deutsche Tänze eventuell adaptierte schottische Tänze? Doch die Beantwortung derartiger Fragen mit geringem Wissensstand wird schwierig und damit auch die richtige Einstellung zum Problem, das in Wirklichkeit keines ist.

In Süddeutschland wird bei derartigen Diskussionen meist Prof. Karl Horak zitiert, manchmal auch noch Dr. Hans von der Au, aber das Zitieren dieser früheren Volkstanzgrößen wird oft nicht als die Lösung vom Problem akzeptiert. Da auch diese beiden Volkstanzforscher unterschiedliche Definitionen geben, wird dann weder der eine, noch der andere akzeptiert. Und dabei ist es doch wichtig zu wissen, daß beide sich mit dem Volkstanz in verschiedenen Landschaften Deutschlands wissenschaftlich beschäftigten und natürlich unterschiedliche Begriffe gefunden haben, für oft dieselben Tanzschritte.

Nachdem ich des öfteren auf diese Problematik angesprochen wurde, habe ich mir darüber Gedanken gemacht und versucht, aus der mir zugänglichen Literatur, das zusammen zu tragen, was zu diesem Thema zu finden war.

An den Anfang möchte ich zwei Erklärungen aus "Tanzlexikon" von Otto Schneider, herausgegeben 1985, stellen:

Polka: Paarrundtanz im 2/4-Takt, der um 1830 in Böhmen (im Gebiet um Krávolé Hradec [Königgrätz]) aufkam. Der Legende nach soll die Polka von einem böhmischen Bauernmädchen erfunden und erstmals getanzt worden sein. Tanzgeschichtlich gesehen ist die Polka aber jedenfalls keine fest datierbare und völlig neue Erfindung. Ihre Schritte sind schon in dem viel älteren Ecossaisen-Walzer und vor allem dem Schottisch, der bereits um 1810 getanzt wurde, vorhanden. Im Rhythmus und der Tanzausfiihrung ähneln sich Polka und Schottischer sehr. Der Name Polka kommt von "pulka", was die "Hälfte" bedeutet und auf den für den Tanz charakteristischen Halbschritt hinweist. Die Tanzform der Polka, die im tschechischen Volkstanz unter dem Namen "Nimra" ihren Vorläufer hat, verbreitete sich von Böhmen aus als Gesellschaftstanz über Stadt und Land. 1835 wurde sie erstmals namentlich erwähnt, 1837 kam sie nach Prag, 1838 brachte sie der Tanzmeister Johann Raab zum ersten Mal in Prag und 1840 erstmals in Paris auf die Bühne, 1839 kam sie nach Wien, 184 1/42 erschien Sie zum ersten Mal in norddeutschen Städten. Von 1844 an, als sie Paris als Modetanz bereits bestätigt hatte, wurde die Polka der Gesellschaftstanz par excellence und verdrängte endgültig den Schottischen. Der ab dieser Zeit in aller Welt gelehrte Gesellschaftstanz "Polka" hatte aber nur mehr wenig mit dem ehemaligen böhmischen Volkstanz gemeinsam. Es entwickelten sich zahlreiche Sonderfonnen der Polka im Volkstanz und im Gesellschaftstanz, die sich in vielen Sonderbezeichnungen widerspiegeln. Viele Tänze gleichen rhythmischen Charakters, oft vermischt mit Elementen des Volkstanzes, wurden dann als Polka bezeichnet. Die Polka kam als Gesellschaftstanz um die Wende zum 20. Jh. immer mehr aus der Mode, in den verschiedenen Volkstanzformen blieb sie aber bis heute erhalten. Die Polka fand auch Eingang in die Kunstmusik, z. B. bei F. Smetana im Streichquartett "Aus meinem Leben" und in der Oper "Die verkaufte Braut". (Bayrische Polka, Doudlebska-Polka, Esmeralda, Ennstaler Polka, Fingerlpolka, Graziana, Hackerpolka, Juudipolka, Krebspolka, Krejc-Polka, Kreuzpolka, Linzer Polka, Monferrina, Paschpolka, Polka française, Polka-Mazurka, Polka piquée, Polka tremblante, Rheinländer, Rigapolka, Schnellpolka, Schusterpolka, Sechserpolka, Spitzbuampolka, Sternpolka, Twostep, Walser-Polka, Zeppelpolka).

Aus: Tanzlexikon Otto Schneider, Seite 406 und 407

Schottisch: (auch Ecossaisen-Walzer oder Schottisch-Walzer genannt) Ein, in der ersten Hälfte des 19. Jh. weitverbreiteter und beliebter Modetanz. Obwohl aus der gedrehten Ecossaisen-Tour hervorgegangen, sind seine Vorläufer in dem alten deutschen Hopser zu suchen. Sein Name taucht schon in den Lautenbüchern des 16. Jh. auf und erscheint bereits in J. S. Bachs Hochzeitskantate.

In musikalisch-rhythmischer Hinsicht ist der Tanz in dem vor dem 18. Jh. bekannten Lied Vetter Michel vorhanden. Seine Tanzbewegung besteht aus einem Wechselschritt mit einem Hüpfer. Er ist der erste geradtaktige Gesellschaftstanz mit einer Drehung im Wechselschritt. Im allgemeinen gilt für ihn die Rechtsdrehung. Hauptsächlich wurde er als Rundtanz zu Paaren getanzt, hat aber mannigfache Umwandlungen erfahren und war besonders im Bereich des Volkstanzes unter verschiedenen Namen gebräuchlich, wie Bummelschottisch, Figurenschottisch, Fingerschottisch, Hackenschottisch, Hipper, Jägerschottisch, Nickelsdorfer- und Reidlingerschottisch, Schwedisch-Schottisch, Vögelischottisch, Wackelschottisch, Weitschottisch und Winkerschottisch. Als Modetanz verlor der Schottische seine Bedeutung gegen die Mitte des 19. Jh. und wurde vor allem durch die Polka verdrängt. (Rheinländer, Bayrische Polka, Fyramannaschottisch).

Aus: Tanzlexikon Otto Schneider, Seite 471

 

Diese beiden Auszüge, aus dem erwähnten Tanzlexikon, lassen auf den ersten Blick doch einige Unterschiede erkennen. Ganz deutlich wird hier herausgearbeitet, daß Schottisch älter als Polka ist. Was aber m.E. auch klar zu erkennen ist, ist dies, daß man "den Schottisch" von "Schottisch rund" zu unterscheiden hat. "Schottisch rund" ist das, was in vielen Volkstänzen als Nachtanz angegeben ist und deshalb manchen Volkstänzer in der Interpretation bedrückt. "Ein Schottisch" wird in den meisten Fällen als kompletter Tanz bezeichnet. Im Lexikonauszug sind genügend Beispiele genannt.

Beim Versuch, die Schrittbeschreibung für Polka und Schottisch aus dem bereits erwähnten Lexikon herauszufinden stellt man Erstaunliches fest: Die Schrittbeschreibung für die Polka fehlt und es wird einfach auf den Schottisch hingewiesen. Bedeutet diese Darstellung in dem 1985 veröffentlichten Tanzlexikon, daß im Wesentlichen Polka und Schottisch nahezu identisch sind?

Wie unterschiedlich unser Thema zu unterschiedlichen Zeiten angefaßt und erläutert wurde, will ich in den nachfolgenden Zitaten wiedergeben. Dabei werde ich schrittweise von 1993 an in die Tanzgeschichte hineingehen, um dann am Ende zu einer neueren Veröffentlichung zurückzukehren.

Helmut Günther und Helmut Schäfer 1993: ‘Aber der Schritt der Polka (= Halbschritt) ist alt. Der Polka-Chasséschritt, mit dem die Ecossaise getanzt wurde. In Deutschland nannte man daher die Polka auch Schottisch. Aber auch schottisch ist dieser Tanz nicht. In Deutschland gab es diese Tanzart schon lange Zeit als Hopser, und einen solchen Hopser findet man schon in Bachs Bauernkantate. Man kann also sagen, die Polka ist ein alter mitteleuropäischer Bauerntanz im 2/4 Takt, der - im Gegensatz zum Schleifer (3/4 Takt) - bei uns Hopser genannt wurde.‘

Karl Horak 1980: In seinem Referat in Reimlingen "Volkstanzforschung im Ries"; 3. Seminar für Volksmusikforschung und -pflege in Bayern führt er an: ‚Einer der allgemein bekannten Tänze war der Schottisch. Schon die Namensgebung beweist die Zugehörigkeit zum Schwäbischen, denn damit wird dort der Tanz gemeint, bei dem man sich zu einer geradtaktigen Weise mit Wechselschritten ohne Hüpfer drehend weiterbewegt. Im Österreichischen sagt man dazu "Polka".

Oswald A. und Richard Beitl 1974: ‘Der einfache Schritt der P. eignete aber auch dem alten Fleuret, dem Pas de Bourrée und der bürgerl. Ecossaise, nach der die P. in der Stadt auch »Schottisch« genannt wurde.

Georg von Kaufmann 1967: ‚So lang ich denken kann, ist der Schottisch und die Rundpolka dasselbe gewesen.‘

Ludwig Burkhardt 1953: Wir unterscheiden heute beide Tanzarten in ihrem Tempo. Schottisch ist für uns der ruhigere Tanz, meist auch Rheinländer genannt. Beim Rundtanz wird auf der 4. Zeit (Phase) des Schrittes, unter Anziehen des Spielbeines, ein kleiner Hupf auf dem Standbein, bei gleichzeitiger Drehung ausgeführt.

Unter der genauen Beschreibung des Polka-Schrittes findet man: 2 Galoppschritte geben die Grundlage für den Polka-Schritt: Führt man beim 2. Galopp-Schritt den in der Phase 2 nachzusetzenden (heranzuziehenden) Fuß durch zum nächsten Schritteinsatz, so ergibt sich hieraus der Polka-Schritt.

Richard Wolfram 1951: Die Polka soll nach A.Waldau („Böhmische Nationaltänze" 1859) von einem tschechischen Bauernmädchen um 1830 erfunden worden sein und 1835 in Prag den Namen "Polka" bekommen haben (Pulka = die Hälfte, Halbschritt = Schrittwechsel). Entsprechend der Neigung zur Auftaktlosigkeit der tschechischen Melodien ist die Bewegung so, daß mit einem beidbeinigen Hüpfer betont, fast stampfend eingesetzt wird und dann der Wechselschritt folgt.

Weiter unten findet man dann bei Wolfram: In den österreichischen Alpenländern tanzt man die Polka heute noch gerne, jedoch als raschen Dreischrittdreher. Die jetzige Generation hüpft dabei gar nicht mehr, sondern der vierte Taktteil wird nur zum Drehen und Wechseln des ausschreitenden Fußes benützt. Nach Tobi Reisers Mitteilung machten die Alten früher schon einen ganz kleinen Hüpfer. Jedoch kennzeichnenderweise nicht beim Einsatz, sondern am Schluß des Dreitritts.

Es folgt dann: Die Bewegung Wechselschritt plus Hüpfer, allerdings in dieser Reihenfolge, ist auch dem "Schottisch" eigen, der zum Beispiel im Rheinlandfränkischen schon 18511 unter diesem Namen neben örtlichen Bezeichnungen, wie "Hipper", vorkommt. Er ist also zweifellos älter als die angebliche Erfindung des tschechischen Bauernmädchens.

Nach einem Rhythmusmuster ist der folgende Satz zu lesen: Der gehüpfte Schottisch-Schritt ist in anderen Ländern gebräuchlicher geblieben als in Österreich.

Hans von der Au 1939: ‚Der Schottisch, im östlichen Spessart Schott genannt, gilt nur gelegentlich als Schrittwechsel = oder Kiebitzgang (Nassau)."

Interessant ist weiter unten zu lesen:

‚Als neuere Bezeichnung hat sich vielerorts seit dem Kriege [1914 - 1918 Anm. durch Hans-Jörg Brenner] wegen der rhythmischen Ähnlichkeit der Schottischmelodie mit dem Foxtrott der Name Schiewer oder Schieber eingebürgert."

Polka als "gehüpfter Schottisch" ist kaum gekannt. Es ist fast nicht anzugeben möglich, was alles unter Polka verstanden wird. Bald ist Schottisch, bald Polka = Mazurka und bald Rheinländer damit gemeint. Es ist vergebliche Mühe daher, landschaftlich die Bezeichnung Polka im Sinne der einzelnen Tanzgattungen abzugrenzen. Nur soviel ist sicher, daß die Musikanten fast durchweg Rheinländer darunter verstehen."

Nicht nur im süddeutschen Raum hat man den kleinen Unterschied zwischen Schottisch und Polka als "gehüpfter Schottisch" erkannt. In Norddeutschland gibt es ebenso eine Unterscheidung zwischen Polka und Schottisch.

Franz Pulmer 1938: ‚Der Schottisch-Schritt ist langsamer als der Polkaschritt. Während wir den Polkaschritt mit einem Hüpfer abschließen, fällt der Hüpfer beim Schottisch-Schritt weg."

Georg Brenner und Bernhard von Peinen 1934: ‘Schottischschritt (Rheinländer-schritt): in gesteigertem Tempo Polkaschritt genannt. 4=zeitig in geradem Takt. Der linke Fuß wird vorgesetzt, der rechte herangestellt, der linke wieder vorgesetzt, schließlich der rechte so vorgeschwungen, während der linke gelüpft wird. Der folgende Schritt beginnt mit dem zuletzt vorgeschwungenen Bein. (Also: links, rechts links - rechts, links, rechts - links, rechts, links - ...) Der Schottischschritt kann auch seitlich, rückwärts und rundum ( Polka in raschem Tempo) ausgeführt werden."

Willi Schultz 1927: ‘Schottischschritt (Schrittwechsel): Ein Schritt auf einen 3/8 = (3/4 =) Takt, vier, (bzw. drei) Zeiten, Rhythmus langsam, ruhig, gebunden. Links vor, rechts nach, links vor (hüpfend); rechts vor, links nach, rechts vor (= zwei Schritte). Daraus ist der Polkaschritt entstanden: Ein Schritt auf einen 2/4 = Takt, vier Zeiten. Links vor, rechts nach, links vor, links hüpfen; rechts vor, links nach, rechts vor, rechts hüpfen (= zwei Schritte)."

John Schikowski 1926: ‘Eine Abart, der Ecossaisen- oder Hopswalzer, gewöhnlich "Schottischer" genannt, die aus mehreren Teilen bestand und im 2/4 - Takt getanzt wurde, ist ihrerzeit namentlich in Deutschland sehr beliebt gewesen.

Willi Schultz 1925: ‚Beide werden mit Wechselschritten getanzt, ersterer [der Schottisch, H.-J. Brenner] mit akzentuierten Teilschritten, aber ohne Hüpfer auf dem 4. Achtel, letztere [die Polka, H.-J. Brenner] mehr verschliffen und mit einem Hüpfer auf dem 4. Achte!."

Hugo Marken 1904: ‘Schottischhüpfen seitw. z. B. 1.: Auf 1! Aufhüpfen mit beiden Füßen und flüchtiges Niederhüpfen r., dem unmittelbar ein Niederhupf seitw. nach 1. folgt - auf "und"! Der r. Fuß führt sogleich einen Nachhupf seitw. nach 1. aus, um den 1. Fuß vom Boden wegzuschlagen - auf 2! Seittritt 1. - auf 3 und 4! dass. widergl. Vorn. sind die Bewegungen entsprechend. Wird das Schottischhüpfen mit Dr. ausgeführt, so bezeichnet man es als Schottischzwirbel."

Mir scheint da eine Interpretationsschwierigkeit vorhanden zu sein, denn weiter unten

unter Schrittzwirbel steht:

‘Schrittzwirbel seitw. z. B. 1.: Auf 1! Seitschritt 1. - auf 2! Seittritt r. mit ½ Dr. 1. - auf 3! Seittritt!. mit nochmaliger ½ Dr. l. - auf 4! Schlußtnitt r. oder Schlußhupf.‘ Dies Seittritt 1. mit nochmaliger ½ Dr. 1. - auf 4! Schlußtritten. oder Schlußhupf‘

Dies könnte eher unserem Schottisch oder der Polka entsprechen.

Dr. Karl Storck 1903: ‘Vielleicht war es auch hier mehr der pikante Rhythmus den Musik, die der Polka zu einem so großen Erfolg verhalf. Denn im Grunde war dieser Tanz nichts Neues. Der Ekossaisenwalzer und der Schottisch, die schon lange vorher bekannt waren, zeigen eigentlich dieselben Schritte und Figuren. Das ist überhaupt eine eigentümliche Erscheinung, daß Tänze, nachdem sie längere Zeit aus den Salons verschwunden waren, unter anderem Namen mit ganz geringfügigen Änderungen wieder dahin zurückkommen.

Interpretiert man einige Zeilen aus der ‚Geschichte des Tanzes in Deutschland von Franz M. Böhme richtig, so hat er diese Unterschiede bereits vor 1886 erkannt. Er schreibt:

Franz M. Böhme 1886: ‚Über eine sonderbare Wandlung in den Ausführung der Polka sonst (1840 — 1850) und jetzt (1870 1886) kann ich meine Wahrnehmung nicht unterdrücken. Wie man sonst, kurz nach ihrem Einsetzen (1825 - 1845), die Polka tanzte, so tanzt man jetzt Rheinländer-Polka. Wie man jetzt Polka tanzt, so tanzte man einst Schottisch.‘ So stimme ich im Wesentlichen mit Voß bei und halte die Polka nicht für eine neue Erfindung, sondern für einen mit der Mode wechselnden anderen Namen eines schon früher vorhandenen Tanzes.

F. L. Schubert 1867: ‘Die Polka ist mit dem Rhythmus des Schottisch sehr nahe verwandt, oder ganz verschmolzen, daher man Schottisch auch nach der Polka tanzt oder umgekehrt. Die Hauptfigur des Rhythmus der Polka und Schottisch ist keineswegs neu und scheint der Melodie zu dem alten Volkslied "Gestern Abend war Vetter Michel da" oder einer Figuration aus der Ouverture: das "Zauberglöckchen" von Herold entnommen zu sein.‘ ‘Schottisch ist älter als die Polka und hat mit dieser in seiner Art eine unverkennbare Ähnlichkeit.‘

Leider ist Schubert in seinem Buch nicht auf die Tanzschritte eingegangen, die für uns interessant gewesen wären, aber das war auch nicht Thema seiner damaligen Ausgabe. Nachvollziehen der Tanzschritte nach den beigefügten Notenbeispielen sind reine Spekulation.

Es gibt noch weit mehr Literatur in der man Zusätzliches zum Thema lesen kann. Es würde aber zu weit führen, alle gefundenen Quellen aufzuführen. Trotzdem will ich noch 6 Schriften angeben, in denen weitere Hinweise zu finden sind, teilweise in eigener Interpretation, teilweise auch in Wiederholung anderer und schon gegebener Hinweise.

Herbert Oetke 1983: in Deutscher Volkstanz, Seite 258 und 259.

Raimund Zoder 1922: in Altösterreichische Volkstänze, Nr. 5, ist dort das angegebene "Zweischritt herumwalzen" nach einer 2/4 Melodie der ursprüngliche Schottisch oder wie später dann bei Roman Maier 1934 zum selben Tanz beschrieben, ein reiner Zweischrittdreher?

Oder ist der Hopserschritt bei Gertrud Meyer 1923 und 1926 beschrieben der bei uns bekannte Schottischschritt?

Oder entspricht der bei Ane Iversen und Anna Sievers ca. 1935 beschriebene Schottisch= oder Kiebitzschritt demselben von Hans von der Au beschriebenen Tanzschritt Schrittwechsel = Kiebitzgang?

Stellt man die oben aufgeführten Aussagen der Lexikondefinition und die Zitate aus den verschiedenen Büchern und Schriften über Polka und Schottisch gegenüber, so kann man durchaus erkennen, daß es keine klare Linie gibt. Irgendwie meine ich aber herauslesen zu können, daß heute in Deutschland in den meisten Fällen Polka mit einem Hüpfschritt und Schottisch relativ ruhig ohne Hüpfschritt getanzt wird. Was nun tatsächlich richtig ist, läßt sich sicher nicht mehr feststellen, denn unterschiedliche Einflüsse gaben beiden Tanzschritten unterschiedliche Ausführungen. Diese Einflüsse sind nicht nur auf städtische und ländliche Tanzlehrer zurückzuführen, sondern auch auf die unterschiedlichen Volkstanzbewegungen und deren Einflüssen in den verschiedenen Landschaften Deutschlands. Diese Eigenheit konnten wir in unserer Familie gegen Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts selbst feststellen. Zu jener Zeit wurden wir verwandtschaftlich mit Bewohnern in Hohenlohe bei Schwäbisch Hall verbunden. Polka als Tanz und Tanzschritt war nicht bekannt, aber als die entsprechende Musik erklang wurde gekonnt, nach eigenen Angaben "ruhiger Schieber" getanzt. Für unsere Augen war das eindeutig Schottisch ohne Hüpfer.

Vor einiger Zeit fand ich in einer Veröffentlichung von 1992 ein Referat von Prof. Karl Horak mit dem Titel: "SCHOTTISCH UND POLKA; PROBLEME DER INTERPRETATION GEDRUCKTER UND HANDSCHRIFTLICHER QUELLEN." Dieses Referat hielt Horak auf der 12. Arbeitstagung der Kommission für Lied -‚ Musik- und Tanzforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V. die in der Zeit vom 12. bis 16. September 1990 in der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg stattfand. Es ginge zu weit, das sehr in die Einzelheiten gehende interessante Referat hier einzufügen. Ich werde jedoch einige wichtige Zitate aus diesem Beitrag zu der o.g. Arbeitstagung zitieren.

Es bedarf wohl sicher keiner weiteren Erklärung, daß der 2. Weltkrieg nahezu lOO%ig die Traditionen und traditionellen Überlieferungen unter- und zum Teil total abgebrochen hat. Horak meint dazu: ‚Mit dem Weltkrieg 1939-1945 brach die Tradition ab, die Traditionsträger von damals sind zum größten Teil verstorben, so daß ein Nachholen von grundlegenden Arbeiten schwierig oder überhaupt unmöglich ist. Unter diesem Blickwinkel leiden natürlich auch meine Untersuchungen auf dem Gebiet des Volkstanzes‘.

Eine weitere interessante Feststellung läßt sich auch noch heute in bezug auf Polka und Schottisch machen. Dies läßt sich mit modernen Medien, z. B. dem INTERNET nachvollziehen, wenn man entsprechende Informationen aus Osterreich und der Schweiz abruft. Sogar innerhalb den deutschsprachigen Ländern ist die Interpretation von Schottisch und Polka unterschiedlich. (Übrigens der österreichische Volkstanz hat einen äußerst guten Auftritt im INTERNET. Wer keine eigene Literatur hat oder keinen Zugriff zu entsprechenden Büchern, kann komplette Volkstänze mit ihren Beschreibungen vom INTERNET herunterziehen). Vergleicht man die entsprechenden Beschreibungen für Polka und Schottisch, weichen diese in österreichisch und schweizerisch wiederum voneinander und auch von den deutschen ab. Horak hat dieses Problem bei seinen Feldforschungen schon vor der Zeit des INTERNET festgestellt und gibt eine entsprechende Bemerkung und Feststellung: ‚Die grundlegende Schweizer Volkstanzsammlung beschreibt eindeutig den Geschlossenen Schottisch: "Mit 2 Schrittwechselschritten eine ganze Drehung, wobei im 4. Achtel das Spielbein vorgeschwungen wird". Die gleiche Schrittbewegung, das Spielbein aber im 4. Achtel im Knie hochgezogen, wird als Polkaschritt bezeichnet. Der oben genannte Geschlossene Schottisch ist also das gleiche, was in Österreich Polka-Rundtanz genannt wird.

Dies wäre gleichbedeutend mit dem schwäbischen Schottisch.

Zurück zu unserer deutschen Situation.

Mit den obigen Feststellungen gibt Horak eine Erfahrung wieder, die sich nicht nur auf das nachstehend genannte Gebiet bezieht und auf ihn selbst zutrifft, wie er selbstkritisch sagt, sondern im Allgemeinen gilt. Was haben all die Volkstanzaufzeichner nun in Wirklichkeit gesehen? Was haben sie aufgeschrieben? Haben sie das aufgeschrieben, was sie sahen oder das was man ihnen sagte, daß sie sehen werden? Oder haben sie notiert, was sie sehen wollten? Hierzu Horaks selbstkritische Bemerkung: ‚Bei meinen Feldforschungen in Süddeutschland und in der Schweiz ist mir damals und bis heute aufgefallen, daß im Schwäbisch-Alemannischen für den Rundtanzteil eines Tanzes im geraden Takt der Name Schottisch verwendet wird. Was ich aber zu sehen bekam, ist von mir als Polka aufgefaßt und beschrieben worden. Die einschlägige Literatur, die zur Vorbereitung und zum Vergleich herangezogen wurde, konnte meine Unsicherheit nicht beseitigen. Diese Schwierigkeiten steigerten sich, als ich Tanzveröffentlichungen für meine Typologiearbeit auswertete.‘

Prof. Karl Horak geht im weiteren Verlauf seines Referates auch auf die Entstehung der Polka ein. Dies ist aber nicht Thema dieses Beitrages. Trotzdem möchte ich einen Satz aus diesem Teil hier anführen: ‚Diese Entstehungsgeschichte der Polka wurde von Rudolph Voß, dem Königlichen Hoftanzlehrer in Berlin, als Märchen hingestellt und ausführlich begründet.‘

Auf derselben Seite erwähnt Horak in seinem Beitrag zwei unterschiedlich Polkaformen, die auch in Süddeutschland bekannten sind. Bei uns gibt es die Polka, die im 4. Achtel den Hupf hat. Es gibt aber auch die bei uns im süddeutschen Raum bekannte Tanzform, die sogenannte Polka mit Auftakt. Getanzt wird sie mit einem Hupf im 1. Achtel und dann der Wechselschritt. Ob diese Form später bei uns eingedrungen ist, vielleicht durch Volkstanzlehrgänge oder Besuche im Ausland, wo diese Form bekannt ist, weiß ich nicht Horak gibt den Hinweis, daß diese beiden Polkaformen von Richard Wolfram als die deutsche und tschechische Polka bezeichnet werden.

Zusammenfassung:

Vielleicht ist es richtig anzunehmen, daß das, was wir heute als Polka bezeichnen und auch tanzen, in der Anfangsphase seines Existierens, der Schottisch war. Vielleicht besteht auch zwischen beiden nur ein kleinerer Tempounterschied, der den heutigen Schottisch zum langsameren, gemütlichen Tanz und die flottere Spielweise zur schnelleren Polka werden ließ. Sicher wurde die Verbreitung der Polka durch die Aufnahme und das Spielen in schmissigen Militärmusiken sehr gefördert.

Allein mein Beitrag gibt keine Lösung, um das Problem Polka - Schottisch einwandfrei zu klären. Die von mir aufgeführten geschichtlichen und landschaftlichen Zitate sind nicht hilfreich, um den Namens- und Begriffswirrwarr eindeutig und zufriedenstellend zu lösen. Bedauernswert ist, daß diese Unterschiede manchmal zu Unstimmigkeiten unter Tanzleitern führen können.

Nicht erst in der Mitte und am Ende des 20. Jahrhunderts hat man diese Unterschiede bemerkt. Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts wurden die unterschiedlichen Benennungen erkannt. Rudolph Voß hat bereits bemerkt, daß eine autorisierte Benennung fehlt. Prof. Karl Horak hat in Anlehnung an diese Bemerkung an eine Neuregelung gedacht und diese auch aufgeführt. Da diese Empfehlung auch den Rheinländer und Bairisch-Polka mit einbezieht und hier ohne nähere Erläuterungen sicher noch mehr Verwirrungen nach sich ziehen würde, will ich diese meinem Beitrag nicht anhängen. Horak hat diese Regelung zur Nachahmung empfohlen, doch ich meine, sie sollte erst bei Tanzleitertagungen und bei Tanzleiterausbildungen debattiert und angewandt werden. Ob aber diese Neuregelung je endgültig zur Anwendung kommt, wage ich zu bezweifeln. Dazu müßte man erst mal eine Tagung zustande bringen, an der maßgebende deutsche Volkstanzleiter wertfrei teilnehmen, um das Thema aufzunehmen. Nach einer Zeit des Überdenkens und vorsichtigen Anwendens müßte eine weitere Arbeitstagung folgen, die dann beginnt, die ersten Nägel mit Köpfen zu machen.

Im vergehenden Jahrtausend wird dazu nicht mehr die Zeit sein, zu einer solchen Tagung einzuladen und diese zu gestalten. Auch sehe ich derzeit keine deutsche Vereinigung, keinen deutschen Verband im Bereich und mit Berührung zum deutschen Volkstanz, die sich dieser Aufgabe annehmen könnte.

Bleibt zu hoffen, daß im neuen Millineum ein Phönix aufsteigt und sich diesem Thema annimmt. Bis dahin bleibt nichts anderes übrig, sich gegebenenfalls selbst mit dem Thema ausgiebig zu befassen und dabei die regionalen und landschaftlichen Unterschiede zu erkennen und zu respektieren.

Im Mai 1999.

Hans - Jörg Brenner.

Überarbeitet: Februar 2000.